Interview Dipl.-Ing. Helmut Gries in Kunststoffe 3/2016
„Man möchte nicht glauben, was in der Praxis alles schiefgehen kann“
Helmut Gries über den Systemgedanken im Spritzgießbetrieb und die Qual der Wahl beim
Auslegen thermischer Prozesse
Seit 18 Jahren verantwortet Helmut Gries als Geschäftsführer der gwk Gesellschaft Wärme
Kältetechnik mbH die Bereiche Vertrieb und Marketing. In täglicher Anschauung erlebt er, wie
schwer es für Verarbeiter sein kann, unter Termindruck die eigenen Prozesse in den Griff zu
bekommen. Eine Existenz zwischen technischen Kompromissen und dem Ideal eines effizient
vernetzten Gesamtsystems.
Wer zur gwk fährt, trifft Helmut Gries sozusagen zuhause. Mit dem Umzug des Spezialisten für
thermische Prozesse (Engineering, Komponenten, Systemlösungen) von Kierspe auf das
ehemalige Battenfeld-Werksgelände nach Meinerzhagen kehrte Gries 2014 sozusagen zu
seinen Wurzeln zurück. Bei Battenfeld begann er 1984 seine Kunststoff-Laufbahn, und hier
entwickelt er gerade ein Geschäftsfeld weiter.
Kunststoffe: Herr Gries, seit einiger Zeit propagiert die gwk als Spezialistin für Kühl- und
Temperiertechnik den Ausbau der Systemtechnik. Was beinhaltet dieser Begriff für Sie und für
den Kunden?
Helmut Gries: Der Ausgangspunkt ist immer die Anwendung des Kunden – ein Formteil, das er
in einer bestimmten Qualität in möglichst kurzer Zykluszeit produzieren will. Das Thema beginnt
aus unserer Sicht bei der thermischen Werkzeugauslegung. Je nach Komplexität des Formteils
und Zyklusanforderungen stellen sich hier verschiedene Fragen bei der Suche nach der besten
Lösung: Wie viele unterschiedliche Temperierkreise und welche Temperaturen in den einzelnen
Kreisen sind erforderlich? Ist eine kontinuierliche Temperierung ausreichend, ist eine
Vorlauftemperatur mit einer Mengenregelung für die einzelnen Kreise sinnvoll oder ist ein
variothermes System die richtige Lösung? Mit zwei Wasserkreisen oder einem Kühlkreis in
Kombination mit einer keramischen Heizung? Soll es ein Werkzeugeinsatz mit konturnaher
Temperierung sein? Und können die Temperierkanäle überhaupt dort verlaufen, wo es
thermisch am sinnvollsten wäre? Wir betrachten all diese Themen nicht isoliert, sondern im
Gesamtzusammenhang.
Kunststoffe: Was gehört noch dazu?
Gries: Es geht darum, alle Geräte und Rahmenbedingungen zu einem effizienten
Gesamtsystem zu verknüpfen. Beispielsweise sollte sichergestellt sein, dass für
Temperiersysteme, die in höheren Temperaturbereichen von bis zu 200 °C eingesetzt werden,
die Wasserqualität ausreicht. Ohne Wasseraufbereitung setzen sich Ventile und Pumpen durch
die bei hohen Temperaturen ablaufenden chemischen Prozesse im Wasser binnen Wochen zu.
Auch banale Dinge wie das Anschließen des Werkzeugs gehören dazu: Welchen Durchmesser
müssen die Kupplungen haben? Aber der erste Schritt ist eigentlich die Wahl des Kunststoffs. Ist
das Material überhaupt geeignet, eine Bindenaht unsichtbar zu machen? Welche
Oberflächenqualität kann ich erzielen? Bei einem Werkstoff mit 35 Prozent Glasfasern ist es
schwierig, im Variotherm-Verfahren eine glatte Oberfläche zu erreichen. Wir haben die Möglichkeit,
unsere Datenbank- und Erfahrungswerte mit Materialtests zu untermauern …
Kunststoffe: … um den Schritt von der Theorie in die Praxis zu vollziehen.
Gries: Nach dem Umzug der gwk nach Meinerzhagen haben wir ein Technikum eingerichtet, in
dem wir das System sozusagen verifizieren und die Anwendung für den Kunden zum Laufen
bringen können. Wir optimieren die Prozessparameter und können dazu auch verschiedene
Spritzgießverfahren, zum Beispiel das Schäumen mit MuCell, testen und den Wärmehaushalt im
Werkzeug indirekt am Formteil mit der Thermokamera analysieren. Wir versammeln hier ein
enormes verfahrenstechnisches Wissen, das ist nicht selbstverständlich für einen
Temperiergeräte-Lieferanten. Auf Wunsch begleiten wir die Installation beim Kunden, bis der
Prozess stabil läuft.
Kunststoffe: Das klingt fast nach heiler Welt.
Gries: Wir reden hier natürlich vom Idealfall, wenn wir schon beim Projektstart hinzugezogen
werden und selbst keine Fehler machen. In der Praxis läuft es oft anders: Wir werden gerufen,
wenn es Probleme mit der Formteilqualität gibt oder die Zykluszeit zu lang ist. Dann stellen wir
zum Beispiel fest, dass die Drücke und Mengen nicht ausreichen, die die Kühlanlage bereitstellt.
Das sind oft Gewerke von unterschiedlichen Lieferanten, die nicht richtig zusammenpassen.
Manchmal müssen wir einzelne Systemkomponenten austauschen, damit der Prozess
überhaupt ins Laufen kommt. Genau das ist der Grundgedanke der Systemtechnik, diese ganze
Kette in die Hand zu nehmen.
Kunststoffe: Das wäre dann die Kür – die Pflicht ist eher das Troubleshooting?
Gries: Bei vorhandenen Installationen, ja. Man möchte manchmal nicht glauben, was in der
Praxis alles schiefgehen kann. Oft wird zum Beispiel ausgeblendet, welche Rolle die Distanz
zwischen Temperiergerät und Spritzgießmaschine spielt. Erst kürzlich wieder hat ein Kunde
reklamiert, dass das gelieferte Temperiersystem nicht die nötige Heizleistung bringt. Einer
unserer Servicetechniker hat sich das angesehen und erst einmal 200 Meter Schlauch aus und
unter der Maschine hervorgeholt. So ist es natürlich unmöglich, die eingestellte Temperatur zu
halten, weil der Wärmeverlust viel zu groß ist.
Kunststoffe: Warum fehlt der Blick für das Offensichtliche so oft?
Gries: Wir merken in der Diskussion immer wieder, dass der Kunde unter dem täglichen
Termindruck gar nicht dazu kommt, seine Prozesse zu optimieren, falls er denn das
entsprechende Wissen hat. Das ist ein typisches Szenario in der Automobilzulieferindustrie.
Wenn unser Mann dann die 200 Meter Schlauch ausgebaut hat und – siehe da – der Prozess
läuft, herrscht an der Nachbarmaschine aber noch dasselbe Durcheinander. In den seltensten
Fällen geht der Kunde von sich aus daran, die Defizite zu beheben – auch weil das
Temperiersystem eben „nur“ Bestandteil der Peripherie ist. Wir als Spezialisten für
Systemtechnik können das in die Hand nehmen. Und da wir täglich der dringenden Notwendigkeit
dafür begegnen, sehen wir auch das große Einsparpotenzial für unsere Kunden.
Kunststoffe: Die Automobilindustrie ist auch bekannt für eine gewisse Spontanität beim
Umgang mit finalen Bauteilgeometrien.
Gries: (Lacht.) Das ist allerdings ein Problem, mit dem wir zu kämpfen haben. Dass wir von
Anfang an bei der Konzeption dabei waren und sich die Teilegeometrie trotzdem noch
zwanzigmal im Detail ändert – da, wo eben noch ein Temperierkanal platziert war, muss jetzt ein
Auswerfer oder ein Kernzug hin. Schwierig wird es auch, wenn das Grundkonzept des
Werkzeugs bereits steht, dann fängt man bei der thermischen Auslegung schon mit sehr starken
Kompromissen an. Denn nicht jeder Werkzeugmacher ist sensibel dafür, die Werkzeug- und die
Temperiertechnik aufeinander abzustimmen. Im Idealfall beginnt dieser Dialog, wenn das
3DKonzept des Bauteils vorliegt.
Kunststoffe: Was sind die Zielgrößen bei der thermischen Auslegung?
Gries: Das Werkzeug ist ein Wärmetauscher. Im Prinzip geht es darum, durch intelligente
Anordnung der Kühl- oder Temperierkanäle so schnell wie möglich eine gleichmäßige
Oberflächentemperatur in der Kavität zu erreichen. Die Schwierigkeit besteht nun darin, dass
der konstruktive Aufbau eines Werkzeugs es in der Regel nicht zulässt, überall den gleichen
Abstand zwischen Temperierkanal und Kavitätsoberfläche einzuhalten. An Stellen, wo am
meisten Wärme eingebracht wird, zum Beispiel Rippen, sitzt in der Regel der Auswerfer, auch
wenn genau da der Temperierkanal liegen müsste. Wie trennt man die Temperierkreisläufe im
Werkzeug, um durch unterschiedliche Drücke und Mengen trotz der geometrischen Probleme
eine möglichst gleichmäßige Oberflächentemperatur hinzubekommen – diese Aufgabe zu lösen,
verlangt sehr viel Erfahrung.
Kunststoffe: Müssen Sie gelegentlich die Gesetze der Thermodynamik ignorieren?
Gries: Ein Beispiel dazu: Bei optischen Bauteilen läge es nahe, ein enges Netz von
Temperierkanälen direkt hinter die Kavitätsoberfläche zu legen, um eine möglichst gleichmäßige
Temperatur zu erzielen. Wir wissen aber inzwischen, dass dann ein Abbild der Temperierkanäle
auf der Oberfläche des Formteils sichtbar wird. Entgegen der rein thermodynamischen
Berechnung rückt man die Kanäle dann eben ein oder zwei Millimeter tiefer unter die
Werkzeugwand. Umgekehrt stellen wir fest, dass in der Praxis immer wieder grundsätzliche
Fehler gemacht werden: zum Beispiel wenn ein Werkzeug bestenfalls die Hälfte der
Wärmeaustauschfläche enthält, die nötig ist, um die berechnete Wärmemenge abzuführen – von
einer gleichmäßigen Verteilung gar nicht zu reden. Man denkt: So neu ist das Spritzgießen ja
nun nicht mehr.
Kunststoffe: Eher neu ist aber die Konsequenz, mit der die konturnahe Temperierung heute am
Markt eingesetzt wird. Wie sehen Sie das?
Gries: Lange Jahre waren wir mit dieser Thematik nahezu allein unterwegs und haben mit
wenigen Mitstreitern gegen die am Markt verbreitete Meinung gekämpft, dass einfache
Temperierbohrungen im Werkzeug völlig ausreichend seien. Die Technologie des generativen
Aufbaus von Werkzeugeinsätzen hat das Bewusstsein für die konturnahe Temperierung sicherlich
sehr geschärft. Eine ganze Reihe namhafter Werkzeugbauer und Kunden mit eigenem
Werkzeugbau fertigt heute mit eigenen Lasersintermaschinen solche Werkzeugeinsätze. Damit
etabliert sich die konturnahe Temperierung im modernen Werkzeugbau immer mehr – sie wird
speziell für komplexere und thermisch kritische Formbereiche eingesetzt, bei denen sich eine
Temperierung bohrtechnisch nicht mehr lösen lässt, während die Kanäle in den
Stammformaufbau weiterhin konventionell gebohrt werden.
Kunststoffe: Sie haben mit dem Verfahren „integrat 4D“, mit dem Sie gebohrte Metallplatten
durch Hochtemperaturvakuumlöten zu einem Werkzeugeinsatz zusammenfügen, eine
Alternative zum generativen Aufbau im Angebot. Wo sehen Sie die Vorteile für das eine oder
andere Verfahren?
Gries: In erster Linie geht es um die Größe des Einsatzes. Ist der Aufbau zu groß, wird die
generative Fertigung zu teuer; ist er zu klein, haben wir für das Vakuumlöten nicht genügend
Fügefläche zur Verfügung. Zusätzlich müssen auch der Temperierkanaldurchmesser, die
Geometrie des Werkzeugeinsatzes und die geforderte Oberflächenqualität berücksichtigt
werden. Beide Verfahren sind in dieser Hinsicht unterschiedlich und haben also ihre
Existenzberechtigung.
Kunststoffe: Welche Mehrkosten hat der Verarbeiter beim Kauf eines Werkzeugs mit so einem
Formeinsatz?
Gries: Gar keine, der spart Geld damit – wenn man das Thema ganzheitlich betrachtet. Die
nackten Werkzeugkosten im Vergleich zur minimalen bohrtechnisch möglichen Lösung sind
natürlich höher. Wie viel höher, das hängt u.a. von der Komplexität des Formteils und der Größe
des Werkzeugs ab. Bei einem 50 Tonnen schweren Werkzeug wird der in der Regel eher kleine
konturnahe Formbereich nicht ins Gewicht fallen. Bei kleinen Werkzeugen könnte das den
größten Kostenblock ausmachen. Aber meistens stellt sich die Frage so nicht. Wenn die
Qualitätsanforderungen an das Formteil oder wirtschaftliche Aspekte wie eine Halbierung der
Kühlzeit diesen Aufwand erfordern, dann wird das gemacht. Anders liegt der Fall nur, wenn es
um Kleinserien von ein paar Hundert Teilen geht, da lohnt sich der Aufwand nicht. Aber wo es,
wie in der Verpackungsindustrie, um Millionen von Teilen geht, haben sich die Zusatzkosten
nach einigen Monaten amortisiert.
Kunststoffe: Dass man mit der Temperierung ein mächtiges Instrument hat, um die
Formteileigenschaften zu beeinflussen, dürfte den meisten Anwendern bewusst sein. Gilt das
auch für die Wirtschaftlichkeit?
Gries: Erfolgreiche Unternehmen haben längst erkannt, welch großes Potenzial darin steckt.
Die reden nach außen hin vielleicht bloß nicht darüber, weil das für sie selbstverständlich ist. Auf
der anderen Seite gibt es Unternehmen, die dieses Potenzial verschenken. Wir haben kürzlich
einem Verpackungshersteller erklären müssen, dass er mit seiner segmentierten Temperierung
den Durchfluss in jedem Kanal an den tatsächlichen Bedarf anpasst. Diese Wassermenge geht
zwar nicht verloren, fließt aber natürlich in die Energiebilanz der Kühlanlage ein.
Kunststoffe: Ein Trend, der sich in den letzten Jahren verfestigt hat, ist der Einsatz der
dynamischen Temperierung, auch als Variotherm-Verfahren bekannt. Wie nehmen Sie diese
Entwicklung wahr?
Gries: Man könnte sagen, das ist fast schon ein Hype, aber das Thema wird ja auch in
unzähligen Seminarvorträgen und Presseartikeln präsentiert. Dementsprechend kommen viele
Anfragen, oft leider ohne dass der zukünftige Anwender sich mit dem Thema vertraut gemacht
hätte. Dynamische Temperierverfahren bieten hervorragende Lösungsansätze für die
wirtschaftliche Fertigung hochwertiger Formteile, sind aber an eine Reihe komplexer
Randbedingungen geknüpft, damit sich der erwartete Erfolg auch einstellt. Da ist beispielsweise
der Energieverbrauch, der bei nicht thermisch optimierter Ausführung des Werkzeugs und
falscher Zuordnung des Temperiersystems unerwartet hoch ausfallen kann. Mancher
Verarbeiter bräuchte dann ein kleines Kraftwerk, um überhaupt die nötige Heizleistung für einen
schnellen Zyklus aufzubringen, weil die thermische Masse seines Systems viel zu groß ist.
Kaum ist dieses Problem gelöst, kommt der Anruf: „Meine Formteile sind schlechter als vorher,
das kann doch nicht angehen.“ Nun ja, wenn ich die Werkzeugwand aufheize, ohne die
Einspritzparameter anzupassen und das veränderte Fließverhalten des Kunststoffs zu
berücksichtigen, dann passiert so etwas.
Kunststoffe: Variotherme Temperierung setzt also eine hohe Prozesskenntnis voraus und stellt
erhöhte Anforderungen an den Verarbeiter, das Gesamtsystem zu verstehen.
Gries: Grundsätzlich muss der Lösungsansatz zum Anforderungsprofil passen. Was nützt mir
ein variothermes System, wenn das Temperierkanallayout beispielsweise nicht berücksichtigt,
an welcher Stelle die Bindenaht auftritt. Außerdem muss der variotherm zu temperierende
Bereich durch geeignete Isoliermaßnahmen vom Rest des Werkzeugs thermisch getrennt
werden, um die pro Zyklus aufzuheizende und abzukühlende Masse möglichst gering zu halten.
Zur Gesamtschau gehört auch das Verständnis für den Umgang mit der Wasserqualität, einem
nach wie vor sträflich vernachlässigten Faktor in vielen Betrieben. Da sind wir wieder beim
Thema Systemtechnik.
Kunststoffe: Sie hatten die Bindenaht-Problematik erwähnt. Wann ist das Variotherm-Verfahren
noch unverzichtbar?
Gries: Eine bewährte Anwendung ist die, wenn beim Schaumspritzgießen, zum Beispiel mit
dem MuCell-Verfahren, das Formteil eine schöne Oberfläche erhalten soll. Oder wenn es darum
geht, filigrane Oberflächenstrukturen abzuformen oder lange Fließwege und dünnwandige
Bauteilbereiche vor allem mit faserverstärkten Materialien zu überbrücken. Und das alles in
einer vertretbaren Zykluszeit.
Kunststoffe: Noch einmal zurück zur segmentierten Temperierung. Wie kommt man hier zur
besten Lösung?
Gries: Es gehört viel Erfahrung dazu, auf Basis einer 3D-Teilezeichnung zu entscheiden, in wie
viele Kreise man die dünnwandigen und die dickwandigen Formteilbereiche zerlegt. Welche
Temperaturen man dann jeweils fahren muss oder mit welcher Durchflussmenge, um eine
gleichmäßige Oberflächentemperatur in der Kavität zu erzielen, weiß man häufig erst, nachdem
man ein paar Teile gespritzt hat. Wir wollen ja keine komplexe, teure Lösung verkaufen, sondern
eine möglichst einfache. Also zum Beispiel eine Lösung mit einem Temperiergerät und einer
Vorlauftemperatur pro Werkzeughälfte, wenn den Prozess ein „integrat direct“ über die
Wassermenge automatisch regelt – das ist für den Kunden beherrschbar. Für die
Durchflussmengenregelung sind Verpackungen ein sehr dankbares Anwendungsgebiet. Bei
technischen Formteilen hingegen kommt man oft nicht um unterschiedliche Temperaturen in den
einzelnen Kreisen herum.
Kunststoffe: Wie lässt sich diese Komplexität zuverlässig managen?
Gries: Die Kommunikation zwischen Werkzeug und Temperiersystem wird zukünftig sicherlich
an Bedeutung gewinnen. Dann könnte sich das optimale Temperierprofil für ein bestimmtes
Produkt nach einem Werkzeugwechsel schnell wieder einstellen. Heute ist die Situation die,
dass die Temperatur häufig außerhalb des Werkzeugs im Temperiermedium gemessen wird.
Für Sensorik im Werkzeug gibt es eigene Spezialisten. Man kann aber diskutieren, ob die
Sensoren mehr zur Überprüfung oder zur Regelung eingesetzt werden sollen.
Kunststoffe: Vernetzung und Kommunikation zwischen Anlagenkomponenten, das weist in
Richtung „Industrie 4.0“. Welche Entwicklungen zeichnen sich hier für Sie ab?
Gries: Wenn man heute über Kommunikation und Schnittstellen in den Systemen redet, denkt
man eigentlich relativ eng. Abgleich zwischen Soll- und Ist-Wert, Durchflussmenge oder eine
Sammelstörmeldung – mehr kommuniziert das Temperiergerät mit der Spritzgießmaschine
nicht. „Industrie 4.0“ setzt voraus, dass dieser Rahmen ausgeweitet wird. Dann reden wir
darüber, dass das Temperiergerät über die Cloud mitteilt, ob es richtig angeschlossen ist und ob
es für den Auftrag auf Basis seiner Leistungsdaten überhaupt geeignet und dauerhaft verfügbar
ist oder vorher in die Wartung muss. Und damit ist nicht gemeint, die Wartung nach der Zahl der
heute üblicherweise programmierten Betriebsstunden durchzuführen. Ich muss die Ist-Zustände
erfassen und diese dann intelligent im Gesamtsystem verarbeiten. Weiterhin muss das Gerät mit
allen anderen Anlagenkomponenten, die einen Einfluss auf die Aufbereitung und Abkühlung der
Schmelze sowie die Energieeffizienz des thermischen Prozesses haben, kommunizieren und
auf Veränderungen reagieren. Hier sehen wir die Aufgabe, die entsprechende Datenbasis und
die vom Maschinenhersteller unabhängige Intelligenz zu liefern. Wie das dann technisch
umgesetzt wird, ist eine ganz andere Frage.
Kunststoffe: Aus der Zukunft zurück in die Gegenwart, in der die Auswahl des geeigneten
Temperiersystems oft alles andere als trivial ist. Jetzt wäre die Gelegenheit für ein launiges
Fazit.
Gries: Klar ist: Es gibt nie nur eine Lösung. Das System, das letzten Endes installiert wird, muss
die Anforderungen an Werkzeug und Formteil erfüllen und gleichzeitig für den Kunden auch
bezahlbar und beherrschbar sein. Es mag durchaus Fälle geben, in denen eine Kombination aus
Lasersintern, Bohren und Vakuumlöten zur Gestaltung des Temperierkanallayouts mit
angeschlossener Mehrkreistemperierung oder einer variothermen Temperierung als ideale
Lösung erscheint, aber bitte: Das wären ein paar Kanonen zu viel für die Spatzen.
Interview: Dr. Clemens Doriat, Redaktion Kunststoffe Temperierkanallayout für eine Schale, die
auf einem Fuß in der Form des gwk-Logos steht. Je nach Oberflächenanforderung und
geometrischer Komplexität des jeweiligen Formteilbereichs wurden unterschiedliche
Temperierkreise in den Werkzeugeinsatz konstruiert (© gwk)
>>Zur Person<<
Dipl.-Ing. Helmut Gries (60) begann seine berufliche Laufbahn nach einem Maschinenbau-
Studium in Aachen (Fachrichtung Luft- und Raumfahrttechnik) 1981 als Projektingenieur im
verfahrenstechnischen Apparatebau der L&C Steinmüller GmbH. 1984 wechselte er in die
Kunststoffbranche und in den Vertrieb der damaligen Battenfeld Berges Duroplasttechnik GmbH
nach Marienheide. Die dort später übernommene Vertriebsleitung für Duroplastmaschinen
behielt er nach Verschmelzung der Firma mit der Battenfeld Spritzgießtechnik GmbH in
Meinerzhagen bei. Ab 1990 leitete er den europäischen Spritzgießmaschinenvertrieb von
Cincinnati Milacron in Offenbach. Nach einem Intermezzo bei Ferromatik Milacron in
Malterdingen folgte 1994 der Eintritt in die gwk Gesellschaft Wärme Kältetechnik mbH, seit 1998
ist er dort als Geschäftsführer für Vertrieb und Marketing verantwortlich.
Gries ist aktives Mitglied in verschiedenen Netzwerken der Kunststoffindustrie sowie
Vorstandsmitglied in den Fördergemeinschaften mehrerer Kunststoffzentren. In seiner Freizeit
hat er sich einen Namen als Fotograf der Landschaft und Tierwelt im südlichen Afrika gemacht.
© Carl Hanser Verlag